Phantom Corporation (D) Time And Tide
Was kommt dabei heraus, wenn man Death Metal mit Crustcore und einer Prise Thrash kombiniert? Im Fall von Phantom
Was kommt dabei heraus, wenn man Death Metal mit Crustcore und einer Prise Thrash kombiniert? Im Fall von Phantom Corporation wird mit „Time And Tide“ ein Album vorgelegt, das am 12.12.2025 über Supreme Chaos Records erschienen ist und seitdem so wirkt, als hätte jemand einen D-Beat-Sportscar ohne Bremsen auf eine frisch gelegte Thrash-Autobahn gesetzt – mit Death-Metal-Panzerketten als Reifenprofil. Die Band, gegründet als Ventil alter Bekannter aus Bremen und dem Ruhrgebiet, trägt ihre Vergangenheit nicht wie ein Ehrenabzeichen vor sich her, sondern als Werkzeugkasten: Erfahrung aus Stationen wie Dew-Scented, Weak Aside, Eroded oder BK 49 schlägt hier nicht in Nostalgie um, sondern in Effizienz. Genau das ist der Trick von „Time And Tide“: Es ballert nicht einfach, es organisiert sein Ballern.
Sound, Produktion und der entscheidende Dreck
Der Sound sitzt da, wo diese Musik sitzen muss: druckvoll, kantig, kein steriles Klick-Und-Quarz-Gemetzel, sondern Schmutz an den Fingernägeln – und trotzdem genug Punch, damit jede Attacke Körperkontakt bekommt. Jörg Uken verpasst dem Material eine Mischung aus Bühnenwucht und Kellercharakter, bei der der Bass nicht als Gerücht mitschwingt, sondern das Fundament mitbaut; gerade in Momenten, in denen die Gitarren die Säge anwerfen, hält das Low-End das Ganze zusammen und verhindert, dass die Songs nur noch Funkenflug sind. Wichtig auch: Trotz Tempo und Aggression bleibt „Time And Tide“ erstaunlich „lesbar“ – nicht weichgespült, sondern strukturiert, sodass Übergänge, Breaks und Soli nicht zufällig wirken, sondern wie dramaturgische Markierungen in einem sehr schlecht gelaunten Drehbuch.
Musikerleistung: keine Statisten, nur Täter
Am Mikro steht Leif Jensen wie ein Chef-Ansager, der nicht moderiert, sondern antreibt: Die Stimme ist gallig, tief genug, um nicht hysterisch zu werden, und rhythmisch so präzise gesetzt, dass viele Lines eher wie zusätzliche Schlagzeug-Akzente funktionieren. Das sorgt dafür, dass Gangshouts und Refrainkanten nicht als Party-Gimmick erscheinen, sondern als kollektiver Tritt aufs Gaspedal. Hinter der Schießbude treibt Mark das Album nach vorne, und zwar nicht mit stumpfer Dauerfeuer-Mentalität, sondern mit Schaltvorgängen: D-Beat als Motorlauf, kurze Tempoverschiebungen als Richtungswechsel, Akzente als Stolperdraht – man hört, dass hier jemand sitzt, der auch in härteren Death-Metal-Kontexten gelernt hat, wie man Geschwindigkeit in Gewicht übersetzt.
Gitarren und Bassarbeit als heimliche Königsdisziplin
Die Gitarrenarbeit wiederum ist die heimliche Königsdisziplin: Arne und Co. spielen nicht einfach nur Rifftechnisch amtlichen Metal, sie bauen druckvolle Klangkulissen, in denen sich die Songs entfalten dürfen – und wenn Soli kommen, sind sie nicht „Pflichtteil für Metaller“, sondern erzählerische Peaks; besonders auffällig ist, wie oft sich melodische Linien einschleichen, ohne die Aggression zu entschärfen, sondern sie eher zu verschärfen, weil plötzlich etwas hängenbleibt, das man gar nicht hängenbleiben lassen wollte. In „Dead Of Night“ tragen die Soli von Jonas und Philipp diesen Effekt auf die Spitze: Kurz flackert klassischer Metal-Glanz auf, nur damit die Nummer danach umso härter in die Dunkelheit zurückfällt.
Komposition und Arrangement: Chaos mit Plan
Der größte Fortschritt von Phantom Corporation auf „Time And Tide“ ist die Kompositionsdisziplin. Crust lebt oft von Monotonie als Waffe – hier wird Monotonie vermieden, ohne den Biss zu verlieren. Viele Songs sind länger als der typische Kurzabriss, was Raum für Spannungsbögen schafft: Ein Riff wird etabliert, variiert, gegen ein anderes ausgespielt, der Groove kippt, ein Solo setzt einen Kontrapunkt, und am Ende steht trotzdem ein Haken, den das Hirn nicht mehr loswird. Das Arrangement arbeitet auffällig viel mit „Anlauf“: kurze Eingrooves, dann die Kieferzerstörung, dann wieder ein Moment, der wie ein Boxschritt wirkt – und genau in diesem Moment kommt der Treffer.
Songs mit Anspruch und starker Sozialkritik:
„Frantic Disruption“ eröffnet als getakteter Aufstand gegen Machtgier, Gewaltlogik und gesellschaftliche Zersetzung und wirkt wie ein kollektiver Weckruf, der das Wegsehen nicht akzeptiert. „Dead Of Night“ macht aus klassischem Horror eine D-Beat-Klaustrophobie und verdichtet Einsamkeit, Todesangst und Ausweglosigkeit zur nächtlichen Falle. „Crushed“ bohrt im Inneren, wo es unangenehm ist, und beschreibt psychischen Druck, Grübelspiralen und suizidale Ideation als Zustand, in dem die Wände immer näher rücken. „Krokodil“ ist der ultrakurze Körperhorror-Sprint, der Selbstzerstörung durch Sucht als Bestie zeichnet, die den vermeintlichen Ausweg frisst. „Pound Of Flesh“ rechnet mit Kriegsökonomie ab und zeigt, wie Menschenleben als Ware in einem Markt aus Gier und Angst verramscht werden. „To The Hilt“ bündelt Wut zu Widerstand und Solidarität und setzt dem „Fake King“-Gestus ein trotziges Wir entgegen, das nicht nachgeben will. Der Titelsong „Time And Tide“ ist das erschöpfte Zentrum: Schuld, irreversible Entscheidungen und Schlaflosigkeit wogen wie Strömungen, gegen die kein Zurückrudern hilft. „Sorcerer“ erzählt als dunkle Parabel von einer Gruppe, die von Schuld, Gier und Vergangenheit verfolgt wird, bis sie nur noch als Geister über verfluchtes Land zieht. „For All the Wrong Reasons“ ist eine Selbstanklage, die Verrat, Schuld und Selbsthass nicht therapieren, sondern sezierend offenlegt. „Crisis“ beschreibt den Bruch mit trügerischen Wahrheiten und die schmerzhafte Neuformung von Identität und Glauben, wenn Manipulation endlich als solche erkannt wird. Und „Western Apocalypse“ macht den großen Deckel drauf: Propaganda, Sündenböcke, enthemmte Gier und systemische Gewalt erscheinen als westliche Selbstzerlegung, bei der Hoffnung nicht explodiert, sondern langsam verbrennt.
Unsere Wertung:
9 von 10 Punkten
Unser Fazit:
„Time And Tide“ ist kein Album, das nur hart sein will; es ist hart und zugleich klug genug, Härte zu strukturieren. Phantom Corporation liefern Songs, die nicht einfach Genres stapeln, sondern ihre Stärken gegeneinander ausspielen: Crust-Dringlichkeit trifft Thrash-Schärfe, Death-Metal-Gewicht trifft Punk-Direktheit – und alles wird so arrangiert, dass Dynamik entsteht statt Dauerrauschen. Das Ergebnis ist extrem, aber nicht eindimensional; roh, aber nicht schlampig; wütend, und nicht blind. Wer mehrdimensionalen Extrem-Metal- mit Crusteinflssen sucht, der mit jedem Track ein Argument liefert, warum „Crossover“ manchmal nicht Vermischung, sondern Eskalation bedeutet, findet in „Time And Tide“ einen Volltreffer, der noch nachbrennt, wenn der letzte Gangshout längst verklungen ist.
Trackliste:
- Frantic Disruption
- Dead Of Night
- Crushed
- Krokodil
- Pound Of Flesh
- To The Hilt
- Time And Tide
- Sorcerer
- For All The Wrong Reasons
- Crisis
- Western Apocalypse
Credits:
Titel: Time And Tide
Interpret: Phantom Corporation
Herkunft: Deutschland
Genre: Death Metal | Extreme Metal | Crust
Label: Supreme Chaos Records
Veröffentlichung: 12. Dezember 2025


