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„Ich gehe ja auch eher unverfroren mit der Klassik um“: Interview mit Wolf Hoffmann am 13.06.2017

  Eine der dienstältesten Metalbands Deutschland erfährt seit der Neugründung 2009 einen wahren Boom. Nun steht mit „The Rise

„Ich gehe ja auch eher unverfroren mit der Klassik um“: Interview mit Wolf Hoffmann am 13.06.2017

 

Eine der dienstältesten Metalbands Deutschland erfährt seit der Neugründung 2009 einen wahren Boom. Nun steht mit „The Rise Of Chaos“, ein neues Werk ins Haus. Hinzu kommt der Auftritt beim W.O.A., der sich in drei Parts gliedert und eine Band in unterschiedlichster Form zeigen wird. Der Promo-Tag in Hamburg, verbunden mit einer Barkassenfahrt durch den Hamburger Hafen, wurde begleitet von Regen und einem kurzen Zwischenstopp an der Elb-Philharmonie, die zugleich als künftige Wirkungsstätte eines Accept-Konzerts auserkohren wurde. Ob es allerdings jemals soweit kommt, ist fraglich, denn der einzigartige Konzertsaal ist bereits Jahre im Voraus ausgebucht. Im Mittelpunkt der anschließenden Interviews stand natürlich Album Nummer 15 in der seit 1979 andauernden Karriere der Solinger Stahlschmiede. Wolf Hoffmann stand dazu Rede und Antwort:

 

Metalglory: Accept zählt zu den dienstältesten Metalbands Deutschlands. Wie siehst du euren Status im internationalen Vergleich?

 

Wolf Hoffmann: Wir sind DIE älteste Metalband Deutschlands. Wenn man einmal genau darüber nachdenkt, wird man feststellen, dass es vor Accept keinen Metal in Deutschland gab. Wir sind eine Band, die die Szene zumindest in Deutschland mitgegründet haben. International haben wir sicherlich eine untergeordnete Rolle gespielt, haben aber viele Musiker beeinflusst. Alleine durch „Restless & Wild“ und „Fast As A Shark“ haben sich viele inspirieren lassen. Es kamen Jahre später Musiker auf mich zu, die sagten, dass sie meinetwegen angefangen haben Gitarre zu spielen. Viele Thrashbands berufen sich auf uns, was für uns natürlich eine große Ehre ist.

 

MG: Kommen wir mal zum neuen Album. Mit „Rise Of Chaos“ erscheint ja nun euer 15. Studioalbum und das 4. nach dem Neuanfang. Erzähl uns doch mal ein wenig über das Konzept, den Albumtitel und was dahinter steckt.

 

Wolf: Eine richtig tiefgehende Message würde ich da gar nicht rein interpretieren. „Rise Of Chaos“ passt halt wunderbar in die heutige Zeit, was man ja unterschiedlich interpretieren kann. Man kann hinschauen, wo man will, ob das nun die Politik ist, die Kriege im Nahen Osten, unsere Umwelt oder die Flüchtlingskrise – überall herrscht eine Art von Chaos und ich finde schon, dass wir hier nahe am Abgrund wandeln. Deshalb fand ich den Titel absolut zeitgemäß. Auch wenn es letztlich nur ein Albumtitel ist, so haben wir schon immer versucht in unsere Texte etwas hineinzubringen, das die Menschen zum Nachdenken anregt und einen auch selbst beschäftigt. So findest du in „Koolaid“ zum Beispiel die Geschichte eines Massenselbstmords in Südamerika oder das historische Ereignis in „Stalingrad“ (vom gleichnamigen Album 2012). Es sind Dinge, die uns selbst beschäftigen und somit in unsere Texte einfließen.

 

MG: Ist Accept politischer geworden?

 

Wolf: Wir sind weder politisch noch religös. In erster Linie wollen wir unterhalten, wollen eine gute Zeit haben und unseren Fans bieten was sie verlangen. Aber wer sich dazu angeregt fühlt unsere Texte zu lesen, der soll auch einen Inhalt bekommen.

 

MG: Es ist das vierte Album, das ihr mit Andy Sneap produziert. Er scheint euren Stil derart präzise umzusetzen, wie das selten zuvor der Fall war. Wie tauscht ihr euch aus? Du und Peter produziert ja beide mit.

 

Wolf: Ja krass, oder? Das wäre für uns früher undenkbar gewesen. Wir sind natürlich heute noch mehr involviert als beim ersten Album, als wir unsicher waren wie wir überhaupt klingen sollen. Da war Andy natürlich sehr hilfreich. Wir hatten die unterschiedlichsten Songs geschrieben, wussten selber nicht genau in welche Richtung wir wollten. Wir hätten softer werden können, mehr Balladen oder wer weiß was. Der Markt lässt ja viel zu und wir hätten alles mögliche machen können. Aber das wäre natürlich dann nicht mehr Accept gewesen und da war Andy als alter Accept-Fan extrem hilfreich, indem er ganz klar sagte, was wir zu machen haben, was unsere Fans erwarten. Seitdem wissen wir selber auch ganz genau was wir wollen. Anderes brauchen wir erst gar nicht zu versuchen.

 

MG: Ihr seid dabei sehr fokussiert, denn „The Rise Of Chaos“ ist aus meiner Sicht das bisher gradlinigste Album geworden und gibt auch am authentischsten den Accept-Style wider. Ihr habt damals mit dazu beigetragen, dass der Begriff Teutonen Metal geprägt wurde, der seitdem als eine Art Markenzeichen für Metal aus Deutschland steht. Kannst du damit etwas anfangen?

 

Wolf: Klar, ich denke schon, dass die deutschen Bands einen gewissen Stil haben, worauf ich auch immer mal wieder angesprochen werde. Das scheint in unserer DNA über die Jahrhunderte eingewachsen zu sein – das Gradlinige oder die Vorliebe für klassische Musik. Die Amerikaner sind da zum Beispiel ganz anders geeicht. Die haben den Blues und den Seicht-/Soft-Rock, der hierzulande gar nicht so existiert. Die hören auch sofort raus, ob etwas aus Deutschland kommt. Andy hat mal zu uns gesagt: „You guys gotta be more German.“ Ich konnte damit erst überhaupt nichts anfangen. Er zeigte dann auf ein paar Sachen, die für mich einfach nur ganz normal klangen, für ihn aber typisch deutsch waren.

 

MG: Ein wichtiger und großer Meilenstein in eurer langen Karriere dürfte sicherlich der Auftritt beim diesjährigen Wacken Open Air sein. Was dürfen die Fans erwarten?

 

Wolf: Die ganze Sache besteht aus drei Teilen. Da wäre erstmal ein klassischer Accept-Gig, dananch spiele ich solo mit Orchester und präsentiere dabei mein Album „Headbangers Symphony“ und im Anschluß spielen wir dann noch mit dem Orchester und Accept. Ich hätte auch nie gedacht, dass wir sowas mal machen, denn für mich ist Metal eben Metal und der muss heavy sein. Aber mein (zweites) Solo-Album hat mir ein wenig die Augen geöffnet, denn da sind einige richtige Metalriffs drin und mit einem Orchester und den richtigen Arrangements, kannst du der ganzen Sache noch einen extra Kick geben. Ich bin davon überzeugt, dass die Songs von Accept in den Arrangements, die wir vorbereitet haben, auch ordentlich knallen werden.

 

MG: In der Historie von Accept steht ein Mann, der anscheinend komplett von der Bildfläche verscwunden ist. Die Rede ist natürlich von Jörg Fischer. Hast du noch irgendwie Kontakt zu ihm?

 

Wolf: Nein, da besteht keinerlei Kontakt mehr. Der scheint wie vom Erdboden verschluckt zu sein und legt auch Wert darauf, dass das so bleibt. Ich glaube 2009 habe ich ihn mal versucht zu finden, meine auch, dass ich ihn gefunden habe, es gab auch eine Rückantwort. Aber er signalisierte ganz klar, dass er mit der Musik nichts mehr am Hut hat und auch nichts mehr damit zu tun haben will. In gewisser Weise habe ich sogar Hochachtung davor, weil schon eine gewisse Portion Entschlossenheit dazu gehört, sowas kategorisch abzulehnen. Man sagt ja nicht umsonst „einmal Musiker, immer Musiker“ und von daher respektiere ich das umso mehr. Hinzu kommt auch, dass wir die Reunion nicht aus finanziellen Mitteln gestartet haben. Wenn es mir ums Geld gehen würde, dann hätte ich als Fotograf weiter gearbeitet, womit ich mir in den neunziger Jahren ein sicheres und lukratives Standbein aufgebaut habe. Es geht mir um die Bedeutung, die Musik in meinem Leben spielt und in dem Leben von anderen Leuten.

 

MG: Ein kleiner Schwenk in eine andere Richtung. Im Laufe der Jahre habe ich viele Musiker kennengelernt, die sich immer wieder auf die Klassik beziehen, speziell in Europa. Für viele scheint in der Klassik die Wurzel ihres eigenen Stils und Spiels zu liegen, obwohl sie selber gar nicht so viel klassische Musik hören. Wie ist das zu erklären?

 

Wolf: Na ja, Deutschland, speziell Deutschland, hat ja viele klassische Komponisten hervorgebracht. Beethoven, Bach und Mozart – das sind alles Komponisten, die sich in unserer DNA quasi eingepflanzt haben. Zumindest mehr als in Südamerika oder so. Ich gehe ja auch eher unverfroren mit der Klassik um, setze meine Metalriffs drauf, glaube aber, dass durch meine Herangehensweise auch bei Metal-Fans die Ohren geöffnet werden können für die klassische Musik.

 

MG: Das ist eine ähnliche Herangehensweise wie an Coversongs. Viele der Kids kennen die Originale ja gar nicht mehr. Nimm zum Beispiel nur Disturbed und ihre Version von „The Sound Of Silence“. Das hat ja auch dafür gesorgt, dass sich selbst Kids mit Simon & Garfunkel auseinandersetzen.

 

Wolf: Genau genommen mache ich ja nichts anderes. Ich covere ja letztlich auch nur. Zwar auf eine andere Art, das Grundwesen ist aber dasselbe.

 

MG: Seit eurem Neuanfang werdet ihr auch immer wieder auf eine Reunion im Original Line-Up angesprochen. Nervt das irgendwann oder ist das ein Zeichen von Verehrung der Geschichte der Band gegenüber?

 

Wolf: Beides. Und das ist für mich auch nachvollziehbar, zeigt es doch den Stellenwert, den die Band noch immer hat. Aber es nervt auch, denn zu dem Thema ist alles gesagt und du wirst hier heute auch nichts neues von mir hören. Was in anderen Branchen ganz normal erscheint, wird in der Musik immer wieder hinterfragt. Wenn ein Redakteur bei einem Magazin aussteigt, dann ist das so und wird nicht hinterfragt. Aber selbst nach 25 Jahren gibt es immer wieder die Frage nach dem „Warum“. Man kann sich ganz normal trennen, geht ja keinen Bund fürs Leben ein und wenn man sich weiter entwickelt, etwas anderes machen möchte, dann sollte das auch nicht ständig hinterfragt werden.

 

MG: Wolf, ich danke dir für das nette Interview, wünsche euch viel Erfolg mit „The Rise Of Chaos“, das ich persönlich für das beste seit dem Neustart ansehe und natürlich auch viel Erfolg in Wacken.

 

Wolf: Es war auch mir eine Freude. Danke für deine Zeit und deine Wünsche.